Zwei Bayern im Norden
Mein langgehegter Traum war es, mal die Nord- und Ostsee zu sehen. Er scheiterte bisher daran, dass mein Mann lieber in den Süden fährt. In diesem Jahr konnte ich im Juli freinehmen und meinen Mann »rumkriegen«.
Wir planten alles durch: Corona ließ uns die Campingplätze vorbuchen, sonst sind wir da mit unserem VW-Bus eher gerne flexibel.
Samstagvormittag starten wir zunächst nach Amberg, denn eine Mittagspause muss sein, schließlich wollen über 50-jährige Knochen, Muskeln und Sehnen mal bewegt werden.
Wir parken etwas außerhalb und spazieren – beide mit neuen Schuhen, sehr schlau – etwa vier Kilometer durch die Vilsauen in die Innenstadt. Auf der Vils gibt es übrigens Bootstouren, die Geschichtliches rund um die Stadt näherbringen.
»Die Brille« ist ein Hingucker in Amberg, ebenso die vielen Brücken, Gassen Häuser und Tore.
Da gleich auf dem ersten Platz ein Pub mit einem Whisky-Angebot liegt, kann ich gar nicht so schnell schauen, wie sich mein Mann, der Whiskey-Fan, niedergelassen hat.
Gemütlich in der Halb-Sonne auf Essen und Getränke warten, ist auf jeden Fall ein schöner Reisebeginn.
Nach der Stadtbesichtigung machen wir uns auf den Weg zu unserem ersten Campingplatz. Naturcampingplatz bedeutet hier »abgespeckt« aber ausreichend ausgestattet: Sanitäranlagen okay, Strom am Stellplatz und Wasser gut erreichbar, mitten im Wald gelegen, das war’s – da sind 20 Euro in Ordnung.
Interessant ist das Meeresgeräusch, das uns beim ersten Spieleabend begleitet. Die Erklärung gibt es am nächsten Tag: Windkraftanlagen direkt neben dem Wald – uns haben sie nicht gestört.
Unser nächstes Ziel kennen wir schon von der Reise 2018 und weil es uns dort so gut gefallen hat, eben gleich wieder: Mittagspause mit Badestopp am Senftenberger See.
Und abends dann der Spreewald: Vor drei Jahren hatte mich die Landschaft mit den weit verzweigten Flussarmen, dem hellen Grün der Bäume und der moorigen Landschaft schon in den Bann gezogen. Bei Lübbenau entstand die Idee zur Sternenflut-Trilogie mit meinem zaubernden Flusshändler Cassian.
Diesmal ist Lübben unser Ziel. Der schöne Campingplatz liegt direkt an der Spree, man trägt sein Kajak (seit damals besitze ich ein eigenes aufpumpbares, aber hochwertiges Boot) ans Ufer und setzt ein. Ich muss zugeben, dass ich Lübbenau als schöneres Paddelgebiet empfinde – kleinere Flusswege mit mehr Schleusen. Aber auch die Umgebung von Lübben hat ihren besonderen Reiz. Wir paddeln einige Stunden über die Hauptspree dahin und wählen einmal einen bezaubernden Seitenarm. Eine Mittagspause auf einer Wiese nutzen wir zur Erholung. Leider ist uns kein strahlender Sonnenschein vergönnt, der diese Landschaft zum Glitzern und Leuchten bringt. Viele Wolken begleiten uns, immerhin kein Regen.
Der Zauber hat uns dennoch wieder gepackt. Der Spreewald ist auf jeden Fall eine Reise wert. Wir bleiben zwei Nächte, was sich für den Zeltaufbau rentiert, den wir mittlerweile in einer halben Stunde hinbekommen.
Wir überlegen uns, die nächste Mittagspause am Müritzsee zu machen, den wir ja auch schon besucht hatten. Leider ist dies genau die Zeit der großen Regengüsse an dem Tag, also gibt es die Brotzeit – ohne Bier – auf die Schnelle am Waldrand, bevor die Scheibenwischer mit Höchstgeschwindigkeit ackern und wir uns Richtung Norden davon machen.
Ich hätte so gern alle Städte auf unserer Strecke angesehen und mehr: Rostock, Stralsund, Lübeck, Schwerin ...
Aber dafür sind 14 Tage einfach zu kurz. Wir lassen Rostock also einfach links liegen und kommen am Nachmittag in Dienhagen an der Ostsee an. Hier heißt es für mich erst einmal einen Coronatest absolvieren. Ich war seit Februar für eine Impfung angemeldet, die erste bekam ich dann endlich Ende Juni, die zweite steht leider erst für nach der Reise auf dem Terminplan. Das bedeutet in diesem Sommer, dass ich mich bei jedem Campingplatz in einem neu angefahrenen Bundesland testen lassen muss. In Dienhagen scheint mir dann zumindest beim Warten endlich einmal die Sonne ins Gesicht. Eine halbe Stunde später parken wir im Campingplatz an den Sanddünen. Auto absperren und nichts wie rüber über den Holzweg und die Ostsee sehen. Riechen ist hier im Gegensatz zum Mittelmeer nicht möglich, dessen Salzgeruch man ja oft Kilometer zuvor schon in der Nase hat. Die Ostsee hat einen sehr geringen Salzgehalt. Wir nutzen die Sonne und bleiben am Wasser, den Zeltaufbau für die nächsten drei Nächte verschieben wir auf später. Das Grillen auf den nächsten Tag, es gibt die Pizza vom guten, campingplatzeigenen Italiener.
Da wir immer unsere Räder dabei haben und auch gerne so Stadtbesichtigungen unternehmen, machen wir uns am nächsten Tag auf den Weg Richtung Fischland-Darß-Zingst Darß-Zingst. Wir und Hunderte anderer Radfahrer sind unterwegs, um den Strand und die Orte in der Nähe des Naturschutzgebiets anzusehen. Die Buden mit Fischbrötchen merkte ich mir für den Rückweg vor. Schließlich erreichen wir den Hafen Ahrenshoop/Althagen. Die ursprünglichen aus Holz gebauten Fischerboote starten von hier aus noch zum ursprünglichen Zweck, aber auch zu Touristenrundfahrten auf den Bodden, die Lagune, die an der schmalsten Landstelle nur wenige hundert Meter von der Ostsee getrennt ist. In Wustrow am Strandbad holen wir uns dann unser Mittagessen, das wir an einem Radrastplatz gemütlich verspeisen, bevor wir uns an den Strand aufmachen.
Leider wird nun das Wetter schlechter. Mein Mann ist am Abend beschäftigt, das Zelt neu an den Boden zu tackern – wir merken schon: Unsere Metallheringe sind zwar für den Boden in Kroatien geeignet, aber nicht für den hiesigen Sand. Doch der Sturm hält sich in Grenzen, das tägliche Rummikub-Turnier findet eben heute im Zelt statt.
Spannend an diesem Campingplatz sind die Duschen. Vier Minuten Duschen zählt auch die Zeit, in der das Wasser nicht läuft: Blöd für den Mann, der sich rasieren wollte. Oder der Automat nimmt das Geld und gibt keine Duschmarke her. Oder bei den Damen kommt nur heißes Wasser aus der Leitung und es heißt Verbrennen oder Shampoo drauf lassen.
Wir stellen fest, dass ein Bad in der Ostsee auch bei Regen und Sturm nicht kalt ist und ignorieren die Duschen bis zur Abfahrt. Am nächsten Tag haben wir Glück, es ist ein sonniger Traumtag: Wir verbringen ihn im Windschutz hinter unserer Strandmuscheln, die noch aus den Zeiten unserer damaligen Kleinkinder stammt.
Doch bald heißt es Abschied nehmen. Es geht über den Gespensterwald von Nienhagen, den wir mit dem Rad durchfahren, bis zum Küstenbad Heiligendamm, das mich enttäuscht. Es wirkt auf mich weniger mondän, sondern einfach nur überteuert.
Am Spätnachmittag parken wir am Altstadtrand von Lübeck. Diese Stadt und natürlich das Holstentor finde ich wunderschön. Es gibt hier Häuser, wie ich sie noch nie gesehen habe. Das Rathaus hat zwei völlig verschiedene Fronten an der Vorder- und Rückseite. Es enthält die Teile aus den verschiedenen Baustilen wie Romanik, Gotik und Renaissance.
Auch hier haben wir zu wenig Zeit, denn es liegen noch 200 Kilometer mit gedrosseltem Tempo vor uns. Ich hätte mich hier gern vor eines der hübschen Bistros gesetzt und in Ruhe getafelt. Aber alles geht eben nicht.
Es folgt ein Ausflug nach Eckernförde, also wieder rüber zur Ostsee, allerdings nur an den Strand, weil kilometerlanger Stau den Spaß an einer Ortsbesichtigung nimmt. Wir baden, ich sammle Steine, und abends gönnen wir uns einen Luxusburger mit Blick auf die Bucht (Förde).
Am nächsten Tag machen mein Mann und ich nochmals einen Ausflug an die Ostsee, wir wollen einen »typischen« Ort sehen, nachdem Eckernförde ja nicht zur Verfügung stand, und wählen Flensburg, wo ich auch das erste Mal dänisch höre. Es sind nur noch etwa 20 Kilometer zur Grenze, so weit nördlich war ich noch nie!
Auch diese Stadt gefällt mir gut und nach einem chinesischen Mittagsnack, versuchen wir es noch mit Baden an der Förde, aber ein Gewitter macht uns einen Strich durch die Rechnung.
Statt dem Hafen von Flensburg seht ihr hier den hübschen Oluf-Samson-Gang.
Jetzt geht es nach dem Frühstück am Deich entlang bis nach Dagebüll zur Fähre nach Amrum. Ich habe noch nie so viele Fahrräder auf einer Fähre gesehen, so viele Tagestouristen, denn die Insel ist ja nur etwa zwölf Kilometer lang. Einige Radler treffen wir später auf dem Campingplatz wieder. Wir sehen gleich nach der Ausfahrt aus dem Hafen auf einer Sandbank Robben – denn es ist Ebbe – und später Schweinswale, das ist ein kleiner Verwandter des Delfins.
Und nun kommen wir auf eine Insel, deren Eindrücke ich wahrscheinlich für immer im Herzen tragen werde: Amrum. Zunächst will man uns allerdings am Campingplatz nicht in Richtung Dünen lassen, sondern auf dem Hauptparkplatz unterbringen. Wofür haben wir reserviert? Wir sind so weit gefahren und jetzt das! Aber die Betreiber finden ein Plätzchen für uns, das passt so gut, dass wir zwischen Wohnmobilen quasi verschwinden. Jetzt wissen wir auch, wohin die Myriaden von Radlern von der Fähre verschwunden sind. Die Drahtesel stehen hier geparkt, die Fahrer zelten zwischen den Sandhügeln wie in kleinen Kolonien, Familien mit kleinen Kindern trotzen Wind und Wetter, sie sind entsprechend ausgerüstet, ihre Zeltheringe sind die richtigen. Wir stellen den Bus ab und dann wandern wir und wandern wir und wandern wir auf den Holzstegen durch die Dünen bis zur Nordsee und sind sprachlos: über die Weite, die Schönheit, die Dünen, den Sand, die Muscheln und wieder über die Weite.
Nach einem wunderschönen nächsten Tag mit Radtour quer über die Insel lösen wir abends den Weihnachtsgutschein unserer Kinder – verschoben durch Corona – ein und fahren mit dem öffentlichen Bus nach Norddorf zum Candlelight Dinner. Kerzen gibt es zwar nicht, aber ein hervorragendes Essen. Wenn ihr da mal hinkommt: Im Hotel Hüttmann das Krabbensüppchen probieren.
Die Preise können sich allerdings auch sehen lassen. Aber wir genießen ja unsere Einladung und sind unseren Kindern sehr dankbar für dieses besondere Erlebnis.
Nach langem Hin und Her – die Wettervorhersage steht auf Sturm, aber das tut sie schon die ganze Zeit, ohne es wahrzumachen – beschließen wir zu verlängern – auf Kosten einer gemütlichen Heimreise.
Leider weiß Petrus unseren Optimismus nicht zu schätzen. Der Sturm in der Nacht kann sich sehen lassen, unser Schlaf nicht, mein Mann ist viel draußen und spannt nach und hämmert.
Am nächsten Morgen bauen wir in einer Regenpause das Zelt ab, waschen die Plane auf dem überschwemmten Weg und verpacken alles wasserdicht auf dem Dach für die Heimreise. Im Inneren unseres Vehikels schaut es furchtbar aus. Ich hasse diese Unordnung, aber immerhin kommen wir mal zum Lesen, das erste Mal in dieser Reise. Und mit Stirnband und Regenjacke am Strand zu spazieren, geht ja immer. Ein Sturm dort oben ist zwar heftig, aber nicht so deprimierend wie in Bayern, wo er ja oft mit tage- oder wochenlangem Dauerregen verbunden ist.
Denn die Weite ist auch dann positiv beeindruckend.
Aktuell haben wir die Schnauze voll vom Zelten und schauen neidisch zu den Nachbarn, die das Geschehen in ihren Wohnmobilen ganz lustig finden.
Der letzte Tag auf der Insel ist wieder mit Sonnenschein verbunden, aber der Wind ist zu kalt, wenn man nicht den perfekten Schutz hat. Und sogar die Dünen mit dem Dünenhafer oder -roggen sehen nach dieser Nacht zerzaust und durchnässt aus.
Dann müssen wir zur Fähre, die am Nachmittag Richtung Festland startet. Ich habe tatsächlich einen kleinen Kloß im Hals, denn ich würde wirklich noch gerne bleiben.
Leider nähert sich die Reise ihrem Ende so schnell, wie das Festland mit seinen Windparks herankommt. Man könnte mal ein Quiz starten, in dem man je nach Anzahl der Windkraftanlagen, die in einem Gebiet zu sehen sind, auf die Nord-Süd-Lage in Deutschland tippt. Südlich von München eines!, in der Mitte Deutschlands bis zu 20 am Stück, im Norden weit darüber. Das ist schon beeindruckend anzusehen.
Trotz der Wehmut genieße ich es wieder, unterhalb des Deichs entlang zu fahren, mit Blick auf die vielen Vögel und Schafe im Vogelschutzgebiet des Hauke-Haien-Kooges.
Wir schaffen es ohne Stau durch Hamburg bis kurz vor Hannover, wo wir eine Übernachtungsmöglichkeit suchen. Leider fällt mir erst jetzt ein, das ich mich hätte testen lassen müssen.
Wir versuchen, ob wir vor einem Campingplatz draußen stehen bleiben dürfen, werden aber verjagt. Was ist denn mit der Gasfreundschaft für übermüdete Fahrer geschehen?
Wir kommen uns vor wie Maria und Josef bei der Herbergssuche.
Vielen Dank für nichts an den Campingplatz Aller-Leine-Tal, Essel. Schließlich wird es die Autobahnraststätte. Ist auch okay und kostet nichts. Wir sind todmüde, es gibt Toiletten und am Morgen einen Kaffee. Und wenn es drei Jungs in einem Polo schaffen, zu schlafen (ich sehe nur Decken und verwuschelte Köpfe), dann sollte es für uns geradezu fürstlich möglich sein.
Es ist eben immer eine Sache der Perspektive.
Weiter geht es bis zu unserer letzten Mittagspause vor daheim: dem Thüringischen Meer. Das ist vielleicht eine schöne Gegend mit all ihren Stauseen entlang der Saale. Nach einem bisschen Baden und Brotzeiten fahren wir erneut Richtung Süden.
Der erste Stau erwischt uns wie immer bei Ingolstadt wegen der Dauerbaustellen, der zweite, ebenfalls gewohnt, auf der A 99, aber beides in einem Rahmen, der zu verschmerzen ist. Und am Abend kommen wir müde und auch gestresst von einer Reise zurück in unser Haus, das uns nach dem »Hausen« im Bus immer wie ein Schloss vorkommt.
Eine Erlebnisreise? – Auf jeden Fall! Erholung? – Na ja, in Maßen! Reue, weil wir einmal nicht in den Süden gefahren sind? – Nein, sicher nicht, das waren die Eindrücke auf jeden Fall wert! Wunsch für die nächste Zukunft? – Sommer, jetzt – endlich – sofort, Kruzifünferl, es ist Ende August!
So verschieden wie Nord und Süd sind auch meine Fundstücke der beiden Meere, die wir auf unserer Reise gesehen haben: Rechts die Steine vom Ostseestrand bei Eckernförde und links Muscheln und Versteinerungen aus der Nordsee von Amrum.